Hugo Distler: Totentanz, 1934

 

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Sprüche von Angelus Silesius aus dem Cherubinischen Wandersmann,
Dialogtexte von Johannes Klöcking nach dem Lübecker Totentanz

Erster Spruch:
Laß alles, was du hast, auf daß du alles nehmst!
Verschmäh die Welt, daß du sie tausendfach bekömmst!
Im Himmel ist der Tag, im Abgrund ist die Nacht.
Hier ist die Dämmerung: Wohl dem, der's recht betracht!

Der Tod: Zum Tanz, zum Tanze reiht euch ein:
Kaiser, Bischof, Bürger, Bauer,
arm und reich und groß und klein,
heran zu mir! Hilft keine Trauer.
Wohl dem, der rechter Zeit bedacht,
viel gute Werk vor sich zu bringen,
der seiner Sünd sich losgemacht -
Heut heißt's: Nach meiner Pfeife springen!

Zweiter Spruch:
Mensch, die Figur der Welt vergehet mit der Zeit.
Was trotz'st du dann so viel auf ihre Herrlichkeit?

Der Kaiser: O Tod, dein jäh Erscheinen
friert mir das Mark in den Gebeinen.
Mußten Könige, Fürsten, Herren
sich vor mir neigen und mich ehren,
daß ich nun soll ohn Gnade werden
gleichwie du, Tod, ein Schleim der Erden?
Der ich den Menschen Haupt und Schirmer -
du machst aus mir ein Speis' der Würmer.
Der Tod: Herr Kaiser, warst du der Höchste hier,
voran sollst du tanzen neben mir.
Dein war das Schwert der Gerechtigkeit,
zu schlichten den Streit, zu lindern das Leid;
doch Ruhm- und Ehrsucht machten dich blind,
sahst nicht dein eigen große Sünd.
Drum fällt dir mein Ruf so schwer in den Sinn. -
Halt an, Bischof, den Tanz beginn!

Dritter Spruch:
Wann du willst gradeswegs ins ew'ge Leben gehn,
so laß die Welt und dich zur linken Seite stehn!

Der Bischof: O lieber Herr, wo soll ich hin?
Nirgendwo kann ich dir entfliehn.
Will ich vor, will ich hinter mich sehen,
ich fühle dich, Tod, stets bei mir stehen.
Was gilt vor dir mein frommer Stand?
Muß alles lassen, was ich fand,
und werd verachteter zur Stund
als ein unrein stinkender Hund.
Der Tod: Besser als andere solltest du wissen,
daß alle Menschen sterben müssen!
Du standest auf dem Erdenreich
den Aposteln Gottes gleich;
aber mit hoffärtigen Sitten
bist du auf hohem Pferd geritten.
Nun hat sich dein Stolz in Angst gewandt. -
Edelmann, halt her dein Hand!

Vierter Spruch:
O Sünder, wann du wohl bedächtst das kurze Nun,
und dann die Ewigkeit: Du würdst nicht Böses tun!

Der Edelmann: Tod, ich bitt, du mögest einhalten!
Laß mich Luft holen vor deinem Schalten!
Meine Zeit hab ich übel verbracht,
Sterben hab ich gering geacht.
Ich dachte nichts als Saufen und Prassen,
schindet' und plagt' mein Untersassen.
Nun soll ich reisen, ob ich nicht will,
und weiß der Reise nicht das Ziel.
Der Tod: Hättst du dir die Armen mit deinem Gut
zum Fürsprech gemacht, wär dir wohler zu mut;
aber wer durfte von Not und Gebrechen
vor dir großem Herren sprechen!
Deiner Pracht warst du gewärtig,
für mein Kommen wenig fertig...
nun bist du verstöret gar und ganz. -
Meister Arzt, tritt an zum Tanz!

Fünfter Spruch:
Dein bester Freund, dein Leib, der ist dein ärgster Feind,
er bind't und hält dich auf: Dein bester Freund, so gut er's immer meint!

Der Arzt: Ich bin dein Widerpart gewesen,
half manchen Menschen vor dir genesen,
die schwer in Seuchen litten Not.
Kommst du nun zu mir selber, Tod,
da hilft nicht Kunst noch Arzenei,
fühl gar umsonst den Puls dabei...
Mein Schwachheit willst du all besehen;
welch Urteil wird mir da geschehen?
Der Tod: Gerechter Wahrspruch soll dir werden
nach deinen Werken hier auf der Erden.
All dein Tun liegt Gott offenbar:
Du brachtest manchen in Leibesgefahr,
Arme und Kranke schatztest du schwer,
gabst dein Wissen nicht billig her
und prunktest hoch in Gelehrsamkeit. -
Kaufmann, schnell, mach dich bereit!

Sechster Spruch:
Der Reiche dieser Welt, was hat er für Gewinn,
daß er muß mit Verlust von seinem Reichtum ziehn?

Der Kaufmann: Wie sollt ich für dich bereitet sein!
lch tat mein Geld in Häuser hinein,
meine Böden sind voll Kornes getragen,
meine Ware liegt auf Schiffen und Wagen...
Hab selbst viel schwere Fahrt getan -
doch keine ging so hart mich an.
Könnt ich mein Rechnung klar abschließen,
möcht mich der Tod nicht so verdrießen.
Der Tod: Wer ehrlich seinen Handel führt,
nicht mehr aufschlägt, als ihm gebührt,
dem wird Gerechtigkeit geschehn,
wenn alle vor dem Richter stehn.
Hast du auf keinen Trug gedacht,
so ist dein Rechnung wohl gemacht,
braucht keine Ziffer mehr hinein. -
Komm her, Landsknecht, ich warte dein!

Siebenter Spruch:
Freund, Streiten ist nicht g'nug, du mußt auch überwinden,
wo du willst ew'ge Ruh und ew'gen Frieden finden!

Der Landsknecht: Ich weiß, mich meinet der Tod.
Schuf andern oft Todesnot -
nun hat sich das scharfe Schwert
wider mich selber gekehrt.
Will denn niemand mir Gnade geben?
Ich bitt dich, Tod, laß mich noch leben,
laß mich noch Gotte dienen baß
den ich bei meinem Handwerk vergaß!
Der Tod: Tritt nur hervor, dir hilft kein Klagen;
mußt deinen Packen selber tragen;
glaub schon, er lastet dir genug.
Dein Werke zeugen ohne Trug,
was Gut und Böses du getan;
der Lohn wird dir bemessen dran.
Niemand kann dich vom Urteil lösen. -
Schiffmann, dein Zeit ist hie gewesen!

Achter Spruch:
Die Welt ist deine See, der Schiffmann Gottes Geist,
das Schiff dein Leib, die Seel ist's, die nach Hause reist.

Der Schiffer: Ich weiß nicht, Tod, wie es konnt geschehn -
ich hab dich oft mir nah gesehn;
aber wenn ich an Land gesessen,
war aller guter Vorsatz vergessen.
Mein alter Adam, frech und geil,
betrog mich um mein besser Teil.
Nun steh ich in der Sünden Not,
hilf mir, lieber Herr, durch deinen Tod!
Der Tod: Hätt'st du Gottes Wort von Jugend an
recht vor deine Augen getan
und fleißig dein Werk danach geübt
so ständst du nicht um dich selber betrübt.
Du sahst genugsam das End vor Augen;
nun will dein Reue wenig taugen.
Zieh ein die Segel, laß dein Sach! -
Komm, frommer Mann, folg mir gemach!

Neunter Spruch:
Das überlichte Licht schaut man in diesem Leben
nicht anders, als wenn man schier ins Dunkle sich begeben.

Der Klausner: Das Sterben bringt mir wenig Leid;
wär ich nur recht von Grund bereit
und mein Gewissen frei und rein!
Oft brach der Böse bei mir ein
mit Anfechtungen schwer und groß.
Herr, mach mich meiner Sünden los!
Ich bekenn und bereu sie von Herzensgrund.
Sei mir gnädig zur letzten Stund!
Der Tod: Du magst wohl fröhlich tanzen gehn,
im Himmel wirst du auferstehn.
Solche Arbeit, wie du sie getan,
heftet der Seele Flügel an.
Dein Beispiel wär vielen zu Frommen,
würd ihnen nicht so hart ankommen;
aber nun stehn sie da gar sauer. -
Tritt ein in den Reigen, Ackerbauer!

Zehnter Spruch:
Freund, wer in jener Welt will lauter Rosen brechen,
den müssen z'vor allhier die Dornen g'nugsam stechen.

Der Bauer: Mit Tanzen weiß ich nicht Bescheid,
ich hab mein ganze Lebenszeit
mit schwerer Arbeit hingebracht
trug Sorg und Müh bei Tag und Nacht,
wie ich den Acker dazu brächt,
daß er viel Ernte geben möcht.
Stets war ich bang um Zehnt und Pacht;
Deiner hab' ich nicht gedacht.
Der Tod: Wenn ich dein Tagwerk wohl anseh,
mein ich, daß Gott dich nicht verschmäh.
Dein Einsaat ist, wie auf dem Feld,
auch in dem Himmel wohl bestellt.
Gott wird dir alle Müh zumal
droben lohnen in seinem Saal.
Drum fürcht dich nun nicht allzusehr. -
Schön Jungfrau, nach dir steht mein Begehr!

Elfter Spruch:
Auf, auf, der Bräut'gam kömmt: Man geht mit ihm nicht ein,
wo man des Augenblicks nicht kann bereitet sein.

Die Jungfrau: Könnt ich doch einen Korb dir geben,
noch jung und schön ein bißchen leben!
Der Welt Lust fang ich an zu schmecken;
wer mocht unliebre Zeit aushecken?
Pfui, daß du hinter mich gegangen,
in deinem Netze mich zu fangen!
O laß mich noch kosten das Glück der Erden!
will fromm in meinem Alter werden.
Der Tod: Bei Nacht umgehen gleich den Dieben,
das ist mein echt und recht Belieben.
Wer jung ist, zeitig in sich kehr!
Der Menschen Lüste trügen sehr.
Niemand hat hier ein bleibende Statt;
der Welt Lust seid ihr balde satt.
Tanzt willig drum nach meiner Weis'! -
Geh, heb dich von dein'm Lager, Greis!

Zwölfter Spruch:
Mensch, wenn dir auf der Welt zu lang wird Weil und Zeit
so kehr dich nur zu Gott ins Nun der Ewigkeit.

Der Greis: O Tod, wie hab ich auf dich geharrt!
War allzu lang mein Leidensfahrt.
Konntest mich armen Alten nicht finden?
War dir gesetzt, zu strafen mein Sünden?
Krankheit ist wohl eine schwere Plag,
wie die Welt heut fährt, ich nicht sehen mag.
So wolle Gott meine Fehle vergeben,
mich einlassen in sein ewiges Leben.
Der Tod: Komm, Alter, faß mich bei der Hand,
du sollst nun in das ander Land.
Dein Leiden wirst du bald vergessen,
wenn du vor Gottes Fuß gesessen.
Da gehn der Engel Melodein
lieblich zu deinen Ohren ein;
all Streit will sich in Einklang fügen. -
Folg nun, klein Kindlein in der Wiegen!

Dreizehnter Spruch:
Die Seele, welche hier noch kleiner ist als klein,
wird in dem Himmelreich der schönste Engel sein.

Das Kind: O Tod, wie soll ich das verstehn,
ich soll tanzen und kann nicht gehn?
wie magst du deinen Ruf anheben,
daß ich soll sterben vor meinem Leben,
abscheiden, eh ich angekommen,
eh denn gegeben, werden genommen?
Wie weinet meine Mutter so sehr!
O gib mich der Erden wieder her!
Der Tod: Gott weiß, warum er mich pfeifen schickt,
und wen er ohn Sünd zu sich entrückt.
Gott weiß, weshalb er die Guten und Bösen
läßt lang, läßt kurz hie treiben ihr Wesen.
Ich pfeif euch zum Frieden, ich pfeif euch zur Qual,
ich pfeif euch in Gottes ewigen Saal.
Ich pfeife so laut, daß jeder mich hört -
Wer ist's, der sich zu Gotte kehrt?

Vierzehnter Spruch:
Die Seele, weil sie ist geborn zur Ewigkeit,
hat keine wahre Ruh in Dingen dieser Zeit.
Drum ist's verwunderlich, daß du die Welt so liebst,
und aufs Vergängliche dich allzusehr begibst.

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